Vier Jahre Krieg haben den Jemen in eine der schlimmsten humanitären Krisen der Gegenwart gestürzt, ein Ende ist nicht in Sicht. Wer gegen wen kämpft – und warum im Westen so wenig darüber berichtet wird.
Von Markus Schauta
In Europa ist der Bürgerkrieg kaum ein Thema. Die wenigen Nachrichten aus dem Jemen berichten von Geflüchteten, Hungernden und Toten. Doch selbst diese Angaben bleiben vage. Die genannten Zahlen der Kriegsopfer liegen zwischen 10.000 und 200.000 Menschen. Die traurige Wahrheit: Wir wissen nicht, wie viele Menschen seit 2015 ihr Leben in diesem Krieg verloren haben.
Die Fronten zwischen den Regierungstruppen auf der einen Seite und den Huthi-Rebellen auf der anderen sind festgefahren. Der Krieg ist längst auf der internationalen Ebene angekommen – ein Beispiel: Der Drohnen-Angriff auf Öl-Anlagen in Saudi-Arabien im September, zu dem sich die Huthi-Rebellen bekannt hatten. Saudi-Arabien und deren Verbündeter USA machten daraufhin den Iran, der die Huthi unterstützt, für die Angriffe verantwortlich.
Abseits globaler Machtspiele ist die Situation allein schon im Jemen selbst komplex: Die Wurzeln des heutigen Konflikts reichen weit zurück. Bis in die 1990er Jahre gab es zwei Jemen. Die Zaiditen, ein Zweig des schiitischen Islam, regierten den Nordjemen über Jahrhunderte als Monarchie, bevor 1962 die Arabische Republik Jemen ausgerufen wurde.
Der Süden des Landes wird von Sunniten dominiert und war seit dem 19. Jahrhundert ein Protektorat Großbritanniens. Über die südjemenitischen Hafenstädte kontrollierte die Kolonialmacht die Meerenge Bab al-Mandeb – bis heute einer der meistfrequentierten Schifffahrtskorridore der Welt. 1967 entließ Großbritannien den Süden in die Unabhängigkeit.
Als der sozialistische Süden mit dem Abgang der Sowjetunion seinen Bündnispartner verlor, stimmte er 1990 einer Vereinigung mit dem Nordjemen unter Präsident Ali Abdullah Salih zu. Die Politik wurde fortan von Salihs Regierungspartei und dem Norden in der Hauptstadt Sanaa bestimmt. Viele SüdjemenitInnen hatten den Eindruck, dass sich die Regierung der Ressourcen des Südens bediente, ohne sich um dessen Bevölkerung zu kümmern. Eine Sezessionsbewegung entstand, die 1994 blutig niedergeschlagen wurde. Das Land blieb vereint, doch die Bruchlinien blieben bestehen.
Jemen
Hauptstadt: Sanaa (de jure), Aden (de facto)
Fläche: 528.000 km2 (Österreich: 84.000 km²)
EinwohnerInnen: 27 Mio. (2016), arabische Bevölkerung, Minderheiten mit europäischen bzw. afrikanischen Wurzeln, nahezu alle JemenitInnen gehören dem Islam an (ca. 65 % Sunniten, 35 % Schiiten)
Human Development Index (HDI): Rang 172 von 189 (UNDP-Bericht 2018)
Gini-Koeffizient*: 36,7 (2010–2017)
BIP pro Kopf: 944 US-Dollar (2018, Österreich 51.512,9 US-Dollar)
Regierungssystem: Präsidialsystem (de jure)
*Der Gini-Koeffizient misst die Einkommensungleichheit von Individuen und Haushalten. Ein Wert von 0 bedeutet absolute Gleichheit, ein Wert von 100 absolute Ungleichheit.
Politik mit Religion. Im Jänner 2011 erreichte der Arabische Frühling den Jemen. Tausende Menschen gingen auf die Straße und demonstrierten gegen Korruption und grassierende Armut. Monate später kündigte der seit drei Jahrzehnten regierende Präsident Salih das Ende seiner Amtszeit an. Doch die Verhandlungen zwischen Opposition und Regierung scheiterten.
Ähnlich wie die Separatisten im Süden fühlen sich auch die Zaiditen von der Zentralregierung benachteiligt. Mit Hilfe der Huthi-Miliz wollen sie ihre Ansprüche durchsetzen. Zur politischen Ebene kommt die religiöse hinzu: Als Zweig der Schiiten stehen sie dem Iran nahe, was von vielen Sunniten im Jemen und in den Nachbarstaaten kritisch gesehen wird.
Im Februar 2015 lösten die Huthi das Parlament auf und jagten den Nachfolger Salihs, Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi, aus dem Amt. Der mächtige Nachbar Saudi-Arabien gewährte dem gestürzten Präsidenten Exil in seiner Hauptstadt Riad.
Im März 2015 startete die Golfmonarchie in einer Allianz mit afrikanischen und nahöstlichen Staaten – und mit Unterstützung der USA, Frankreichs und Großbritanniens – ihre Offensive im Jemen. Und auch die Huthi sahen sich nach internationalen Verbündeten um – und fanden sie im Iran.
Waffen füttern Krieg. „Der Jemenkonflikt ist ein Bürgerkrieg, der zunächst nichts mit Saudi-Arabien und Iran zu tun hatte“, sagt Edmund Ratka, Referent im Team Naher Osten und Nordafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung. Es ist ein Konflikt, der schon lange schwelte, bevor er mit dem Vormarsch der Huthi auf die Hauptstadt Sanaa eskalierte.
Ab dann habe sich der Bürgerkrieg mit dem geopolitischem Großkonflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran vermischt. Teheran konnte in den vergangenen Jahren, sehr zum Missfallen Riads, seinen Einfluss im Irak und in Syrien deutlich ausbauen. Der Albtraum Saudi-Arabiens ist, dass mit den Huthi-Rebellen im Nachbarland eine Art jemenitische Hisbollah – ein verlängerter Arm Irans – entstehen könnte.
Zwar sei unbestritten, dass der Iran den Huthi mittlerweile mit Waffentechnik und Militärberatung zur Seite stehe. Ratka geht aber davon aus, dass der Einfluss des Iran im Jemen von den Saudis von Anfang an überschätzt wurde.
Seit den 2000er Jahren hatte Al-Kaida zunehmend im Jemen Fuß gefasst. Um die Terrormiliz zu bekämpfen, wurde die Armee des früheren Präsidenten Salih von den USA hochgerüstet, meint Ratka.
Wie immer man das Ausmaß der Waffenlieferungen des Iran an die Huthi einschätzt, es fällt gering aus, im Vergleich dazu, was der Westen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) liefert: Waffen aus Deutschland, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Großbritannien, Tschechien und den USA kommen auch gegen jemenitische ZivilistInnen zum Einsatz.
Seit Beginn der saudischen Intervention 2015 haben westliche Länder laut Amnesty International Waffen im Wert von mehr als drei Milliarden Euro an die VAE geliefert. In derselben Zeit wurde Saudi-Arabien alleine von den USA mit Waffenlieferungen im Wert von 12,5 Milliarden US-Dollar bedacht, berichtet das Nachrichtenmagazin Forbes.
Alleingelassen. Auch nach vier Jahren Krieg ist es der saudischen Koalition nicht gelungen, die Huthi zu besiegen. Während jemenitische und internationale AkteurInnen um ihre strategischen Ziele ringen, leidet die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten der Front. Die wenigen westlichen JournalistInnen, die seit 2015 ins Land kamen, berichten von Hunger, zerstörter Infrastruktur, Strom- und Wasserknappheit.
Pascal Weber hat für den Schweizer Rundfunk SRF 2018 im Jemen recherchiert: „Es ist enorm schwierig, überhaupt in den Jemen zu gelangen“, erklärt er. Ein gutes Jahr haben er und seine Kamerafrau auf das Visum gewartet, bevor sie über die Hafenstadt Aden einreisen durften. Dazu brauchten sie das Einverständnis verschiedener Seiten, sowohl der jemenitischen Regierung – die Aden zur De-facto-Hauptstadt gemacht hat – als auch von Saudi-Arabien und der VAE. „Dieser Prozess war ein Dickicht, durch das man nur sehr schwer durchkommt“, so Weber.
Während ihrer zehntägigen Recherche wurden sie aufgrund des großen Sicherheitsrisikos ständig von zwei Sicherheitsleuten begleitet, was die Kosten in die Höhe trieb. Anders als beim Syrienkrieg, dessen Auswirkungen in Europa spürbar waren, sei der Krieg im Jemen zudem für den Westen nur schwer begreifbar zu machen, so Weber, und stehe damit nicht so sehr im Zentrum des Interesses. „Die Kosten und Risiken, die mit einer Recherche vor Ort verbunden sind, wollen daher viele Redaktionen nicht tragen“, sagt der Reporter.
Der Jemen ist auch für Hilfsorganisationen eine Herausforderung. Jennifer Bose war im Sommer 2019 als Mitarbeiterin von Care dort. Die medizinische Versorgung im bettelarmen Land bezeichnet sie als katastrophal. Besonders betroffen sei die junge Generation: „Kinder gehen nicht zur Schule, weil ihre Eltern es sich nicht leisten können, oder weil es keine Schulen mehr gibt.“
Die unterschiedlichen Konfliktparteien und sich verschiebenden Bündnisse machen die Arbeit für NGOs kompliziert. „Das Risiko, selbst zur Zielscheibe im Konflikt zu werden, ist hoch“, so Bose.
Care-Fahrzeuge tragen daher schon lange keine Logos mehr. „Man möchte keine Aufmerksamkeit erregen.“ Die Hilfsgüter bringt die Organisation über den Seeweg ins Land. „Deshalb ist es so wichtig, dass die Häfen des Jemen geöffnet bleiben“, sagt Bose. Als der Hafen Hodeidah im Nordwesten für einige Zeit geschlossen war und keine Hilfslieferungen ins Land kamen, hatte das verheerende Folgen für die Bevölkerung.
Armut und Zerstörung. Ein UN-Report vom September 2019 bilanziert die Gewalt gegen ZivilistInnen, wie sie von den Kriegsparteien in den vergangenen Jahren begangen wurde. Die Liste ist lang: Luftschläge und willkürlicher Beschuss von Wohngebieten und ziviler Infrastruktur, Scharfschützen, Landminen, Verhaftungen, Folter, sexuelle und geschlechtsbezogene Gewalt gegen Mädchen und Frauen, Blockade von Hilfslieferungen. Zudem informieren die Vereinten Nationen darüber, dass sowohl Huthi als auch die saudische Koalition Kindersoldaten rekrutieren. Nicht nur im Jemen, sondern auch in Ländern der Koalitionspartner, wie etwa in der verarmten Region Darfur im Sudan.
Mit Milliarden an Waffenlieferungen und einer oft unkritischen Unterstützung Saudi-Arabiens hat der Westen seinen Teil zum Konflikt beigetragen.
Der Jemenkonflikt kocht dabei zu einer Zeit hoch, in der auch die Beziehungen zwischen dem Iran und den USA bzw. dem Iran und Saudi-Arabien besonders angespannt sind. US-Präsident Donald Trump hat sich die saudische Perspektive angeeignet, wonach der Iran der große Gegner im Jemenkrieg sei.
Einen Sieger wird es im Jemenkrieg in absehbarer Zeit nicht geben. Die Huthi sind militärisch zu stark, die saudische Koalition wird keinen baldigen Sieg bekommen.
Schwieriger Weg zum Frieden. Welche Friedensperspektive gibt es noch? Dazu Nahost-Experte Ratka: Die Regionalmächte wie Iran und Saudi-Arabien sowie internationale Akteure wie die USA und die involvierten europäischen Staaten müssten auf die ihnen nahestehenden jemenitischen Gruppen einwirken, um diese zu einer Friedenslösung zu drängen. „Die Regierung, die Huthi und die Separatisten müssen sich einigen“, so Ratka. Und das könne nur über Regionalismus gelingen. „Autonomie für den Süden und für die Huthi im Norden, das wäre ein möglicher Weg.“
Der Krieg hat aus dem armen Jemen einen noch ärmeren und zerstörten Jemen gemacht. Die Zukunft der Bevölkerung ist schon jetzt auf Jahre verspielt.
Markus Schauta berichtet für deutschsprachige Medien aus dem Nahen Osten, zuletzt aus dem Libanon und dem Irak.
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